Geschichtliche Aufzeichnungen der Stadt Chioggia erinnern auf sehr düstere Art den Nachmittag des 24. Juni 1508: der Himmel war von schwarzen tiefhängenden Wolken bedeckt, lauter Donner, grelle Blitze, wolkenbruchartiger Regen, das fürchterliche Heulen des aufgewühlten Meeres. Überall verbreitete sich Panik. In den Häusern wurde gebetet, man hörte die verzweifelten Schreie der Fischer, die vom Unwetter auf dem Meer überrascht worden waren. Erst gegen Abend beruhigte sich der Sturm und ein alter Weinbauer, ein gewisser Baldissera Zalon, kam aus seiner Hütte und wurde sprachlos Zeuge der vom Unwetter verursachten Verwüstung, als er eine überirdische Stimme hörte, die vom Lido her kam.
Er drehte sich um und sah eine majestätische Frauenfigur. Sie trug einen schwarzen Umhang, und saß auf dem Stamm (zocco) eines Baumes, der von den Wellen an den Strand getrieben wurde. Diese geheimnisvolle Frau stellte sich rasch als die Gottesmutter heraus. Der verheerende Sturm sollte nichts weiter sein als die Vorwarnung einer viel schlimmeren Katastrophe, sollte sich die Stadt nicht bekehren und Reue tun. Hier der letzte Satz der Botschaft an Baldissera: er sollte den Bischof über die Erscheinung informieren und ihn in ihrem Namen auffordern, mit Gebeten, Bußen und Mahnungen die schwerwiegenden Sünden bekämpfen, die das christliche Leben beschatteten.
Bevor sie auf einem Boot (NAVICELLA) verschwand, zeigte sie sich dem Alten mit ihrem Sohn auf den Knien und sagte: so haben ihn die Sünden Deiner Mitbewohner zugerichtet. Das Boot entfernte sich langsam vom Ufer und die Erscheinung verschwand. Nachdem der Bischof von Chioggia, Mons. Bernardino Venier, über den Vorfall unterrichtet wurde, setzte er zuerst all seine Vorsicht und später all sein Erbarmen ein, um den Wunsch der Heiligen Jungfrau zu erfüllen.